
Mason – Kapitel 3
»Kannst du uns nach Hause fahren?« Emma bleibt vor unserer Sitzgruppe stehen und sieht zu ihrem Bruder.
Neil, der eigentlich nüchtern bleiben wollte, um seine kleine Schwester und ihre Freundinnen in ihr Wohnheim zu fahren, sieht mit glasigen Augen von seinem Flirt auf. »Oh shit, du bist ja noch hier!«, ruft er erstaunt und steht so abrupt auf, dass seine Bierflasche umfällt und der Inhalt sich über den Rand des Tisches ergießt. »Fuck, mein Bier!«, jammert er und versucht, den Inhalt zurück in die Flasche zu schieben.
Emma verdreht die Augen und atmet frustriert aus. »Ist das dein Ernst, Neil?«
»Was ist?« Livia taucht auf und sieht zu Neil, der jetzt dabei ist, sein Bier mit dem Mund aufzusaugen.
Die Jungs am Tisch grölen und Gabriel filmt das Ganze mit dem Handy. Ich sehe zu Livia und wieder treffen unsere Blicke sofort aufeinander.
»Hey, da ist ja die Frau meiner Träume! Hast du es dir nun doch anders überlegt? Ich wusste es!« Mein Bruder legt den Arm um Livias Taille und zieht sie an sich.
Dann geht alles plötzlich ganz schnell. Sie packt seinen Arm und dreht ihm das Handgelenk auf den Rücken.
Madden stößt einen überraschten Laut aus und dann fängt er laut an zu lachen. »Baby, sag doch, dass du auf diese Art von Spielchen stehst! Da bist du bei mir und Mason genau an der richtigen Adresse.«
»Je ne te voudrais même pas si tu pouvais transformer du sable en pain et de l’eau en vin.«
Maddens überraschter Blick fliegt zu mir. Die Jungs fangen an zu lachen, als sie sein verdutztes Gesicht sehen, weil er von einer kleinen, zierlichen Französin vorgeführt wurde.
Madden fängt an zu grinsen und dreht den Kopf zu Livia. »Je ne me comparerais jamais à Jésus, mais crois-moi, lorsque nous aurons fini avec toi, tu crieras vers Dieu«, erwidert er in akzentfreiem Französisch und bringt damit nicht nur unsere Teamkollegen zum Schweigen.
Livia hebt überrascht die Brauen und als ihr Blick diesmal in meine Richtung fliegt, hebe ich lächelnd die Schultern. Sie lässt meinen Bruder los, der sich seinen überdehnten Daumen massiert, und verschwindet kommentarlos in der Menge.
»Livia, warte, wir brauchen noch jemanden, der uns nach Hause fährt!«, ruft Emma ihr hinterher und wendet sich dann stinkwütend an ihren Bruder. »Du bist ein Arsch, Neil! Du hast versprochen, dass du uns fährst. Wie sollen wir jetzt zum Wohnheim kommen?«
Neil kratzt sich an der Schläfe, als hätte er bereits wieder vergessen, weshalb seine Schwester sauer auf ihn ist.
Kopfschüttelnd stehe ich auf und packe Madden am Arm.
»Wo willst du hin?«, fragt er.
»Wir bringen die Mädchen nach Hause«, teile ich Neil mit.
»Danke, Mann«, erwidert dieser und lässt ein unheilvolles Rülpsen hören. »Ihr habt was gut bei mir. Und denkt dran, ich bringe euch um, wenn ihr Emma anpackt.«
Allein der Gedanke ist dermaßen absurd, dass ich nicht einmal darauf antworte. Ich schiebe Madden vor mir her, als wir den Pub verlassen.
»Warum fahren wir jetzt noch mal nach Hause?«, will Madden wissen, der bereits so betrunken ist, dass er in Schräglage läuft.
»Wir bringen erst die Mädchen zu ihrem Wohnheim und dann fahren wir nach Hause.«
»Guter Plan. Dann wissen wir gleich, wo unsere neue Traumfrau wohnt.«
»Schlag sie dir aus dem Kopf, Maddy, sie hat kein Interesse.«
»Sie ist Französin!«, erwidert mein Bruder, als wäre das die Lösung für all seine Probleme. »Wir hatten noch nie eine Französin!«
Ich verdrehe die Augen. Als ich mich suchend umsehe, entdecke ich die Mädchen weiter die Straße rauf, wo sie sich in die Schlange vor dem Taxistand eingereiht haben. Madden torkelt neben mir und redet in einer Tour.
»Oh, warte, doch, hatten wir. Erinnerst du dich noch an Amelie und Andrea aus Marseille? Man, die beiden waren gelenkig.«
Ich ignoriere ihn, bleibe hinter Emma stehen und tippe ihr auf die Schulter.
»Was ist?«, faucht sie giftig und sieht mit zusammengeschobenen Brauen zu mir.
»Wir bringen euch zum Wohnheim.«
»Wie bitte? Auf keinen Fall! Ihr seid ja noch betrunkener als mein Bruder« Emma deutet auf Madden, der sich an eine Laterne lehnen will, diese aber um einen Meter verfehlt. Mit rudernden Armen findet er schließlich Halt an einem Briefkasten.
Ich rolle die Augen und sehe wieder zu den Mädchen. »Ich kann noch fahren. Ihr solltet um diese Uhrzeit nicht mehr allein unterwegs sein.«
»Wir sind zu dritt. Und außerdem kann Livia Karate.« Emma deutet hinter sich auf Livia, die überrascht aufblickt.
»Ich kickboxe«, stellt sie richtig. »Und zwar ziemlich gut.«
Es soll eine Warnung sein, aber mich turnt die Tatsache, dass sie Kampfsport betreibt, nur noch mehr an. »Ohne jeden Zweifel«, erwidere ich und hole den Autoschlüssel aus der Hosentasche. »Trotzdem nehmt ihr kein Taxi, ihr fahrt mit uns. Emma, dein Bruder ist ein Idiot«, wende ich mich dann wieder an Neils Schwester. »Aber nichtsdestotrotz will er, dass wir euch nach Hause bringen«, behaupte ich und deute auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo mein und Maddens Ford Pick-up steht.
Emma sieht unsicher zu ihren Freundinnen. »Was meint ihr? Sollen wir mit den beiden mitfahren?«
Livia schüttelt den Kopf und holt ihr Handy aus der hinteren Tasche ihrer Jeans. »Bevor ich bei den zwei Typen ins Auto steige, laufe ich lieber zu Fuß.«
Ihre Aussage soll vermutlich dafür sorgen, dass ich beleidigt bin, doch sie erwirkt das Gegenteil. Livia fasziniert mich immer mehr. Sie wirkt auf den ersten Blick schüchtern, doch wenn es darauf ankommt, zeigt sie Zähne und fährt ihre Krallen aus.
»Madden und ich haben eine kleine Schwester in eurem Alter. Wir würden niemals zulassen, dass Mackenzie nachts allein mit einem Taxi nach Hause fährt. Mein Bruder wird sich benehmen und seine Klappe halten, versprochen.« Bevor sie es sich doch noch anders überlegen kann, greife ich blitzschnell nach ihrem Handy und jogge über die Straße.
»Hey!«, ruft Livia empört und folgt mir. »Gib mir sofort mein Handy zurück!«
Sie will es mir aus der Hand reißen, doch ich strecke den Arm in die Luft und sehe sie herausfordernd an. Wenn sie es wiederhaben möchte, muss sie entweder wie ein Klammeräffchen an mir hochklettern, ich bin nämlich einen guten Kopf größer als sie, oder sie steigt freiwillig in meinen Wagen und bekommt es wieder, wenn wir sie beim Wohnheim absetzen.
Livia entscheidet sich für Option drei und stößt mir mit erstaunlicher Kraft die Handkante in die Rippen.
Keuchend krümme ich mich zusammen und hinter mir fängt mein Bruder hysterisch an zu kichern.
»Okay, damit habe ich nicht gerechnet«, stoße ich atemlos aus und reibe mir über die Rippen.
Mit einem Siegerlächeln zupft sie ihr Handy aus meiner Hand und tippt fröhlich darauf herum.
»Wer bist du, die Tochter von Bruce Lee?«, will Madden wissen.
»Jedenfalls niemand, die alles mit sich machen lässt«, erwidert sie, ohne aufzusehen.
Weil sie gerade abgelenkt ist, tausche ich einen Blick mit Madden. Er versteht sofort, was ich vorhabe und nickt.
Blitzschnell reißt er Livia das Handy aus der Hand und öffnet die hintere Tür unseres Pick-ups. Dann packe ich sie an der Taille, setze sie auf die Rückbank und werfe die Tür hinter ihr zu.
»Sicher, dass ihr keine kranken Serienmörder seid?«, will die dritte Freundin wissen, deren Namen wir immer noch nicht kennen.
Madden grinst. »Lust, es herauszufinden?«
»Eigentlich nicht. Kann man denen denn wirklich trauen?«
Emma sieht zweifelnd zwischen uns hin und her. »Keine Ahnung. Aber wenn mein Bruder ihnen vertraut, können wir das wohl auch.«
Nachdem Livias Freundinnen endlich im Wagen sitzen, steigen auch Madden und ich ein.
»Wohin sollen wir euch fahren?«, frage ich, als ich den Motor starte. Ich blicke in den Rückspiegel und als mein Blick den von Livia streift, durchfährt mich wieder dieses unbeschreibliche Gefühl.
Ich mag ihre sture Art, ihren Widerstand und dass sie offenbar genauso oft in meine Richtung sieht wie ich in ihre. Wieso sonst treffen sich jedes Mal unsere Blicke, wenn ich zu ihr sehe? Livia ist alles, was mich an einer Frau anspricht, ohne, dass ich das vorher wusste.
»Winthrop House«, antwortet Emma.
Livia hält das Handy ihrer Freundin hoch. »Wir haben übrigens den Notruf gewählt. Eine Abkürzung oder plötzliche Reifenpanne und wir rufen die Polizei.«
Madden lacht und dreht sich um, damit er die Mädels ansehen kann. »Du bist so verkrampft, Baby. Sicher, dass Mason und ich dir nicht dabei helfen sollen, ein bisschen relaxter zu werden? Wir kennen eine ganze Reihe an Tricks, die dich Sterne sehen lassen.«
Livia verdreht die Augen und sieht demonstrativ aus dem Seitenfenster.
»Gott, wie verzweifelt muss man sein?«, stöhnt die Freundin der beiden und schüttelt den Kopf.
Madden wendet sich augenblicklich an sie. »Wie heißt du eigentlich, meine Schöne?«
»Frances.«
»Frances«, wiederholt Madden. »Ich glaube, du bist die erste Frances, der ich begegne. Wo kommt dein Name her?«
»Versuch es gar nicht erst, Madden oder Mason oder wer auch immer von beiden du bist. Ich kenne euren Ruf und nein danke, ich bin nicht interessiert.«
Madden sieht kurz zu mir, fasst sich ans Herz und stöhnt. »O mein armes Herz! Schon die zweite Abfuhr an einem Abend. Ob ich das überleben werde?«
Livia schnaubt, doch als ich dieses Mal in den Rückspiegel blicke, sieht sie nicht zu mir. Wie von allein verziehen sich meine Mundwinkel zu einem Grinsen. Ich mag sie von Sekunde zu Sekunde immer mehr.
Keine zehn Minuten später kommen wir bereits beim Wohnheim der Mädchen an. Ich parke hinter dem Gebäude und stelle den Motor aus. Mein Bruder ist eingeschlafen und schnarcht vor sich hin.
»Kriege ich jetzt mein Telefon wieder?«
Ich gehe nicht auf Livia ein und steige aus dem Wagen, um ihr die Tür zu öffnen. Skeptisch sieht sie mich aus zusammengezogenen Augen an.
»Mylady«, fordere ich sie zum Aussteigen auf und halte ihr die Hand entgegen.
Livia ignoriert mich und steigt demonstrativ auf der anderen Seite aus. Lachend werfe ich die Tür wieder zu und gehe um das Auto herum. Emma und Frances sehen verunsichert zwischen mir und Livia hin und her.
»Danke, dass du uns gefahren hast. Und falls du meinen Bruder vor mir siehst, tritt ihm in die Eier.«
Ich sehe zu Emma und lache. »Das regelt ihr am besten unter euch.«
»Bist du jetzt Mason oder Madden?«, will Frances wissen.
»Mason.«
Sie nickt und sieht zu Livia. »Kommst du?«, fragt sie sie und deutet zum Wohnheim.
»Sie kommt gleich«, antworte ich stattdessen. Ich will nicht, dass Livia jetzt schon geht. Ich habe zwar keinen Schimmer, worüber ich mit ihr reden soll, aber irgendwas wird mir schon einfallen.
Frances reagiert nicht auf mich und sieht weiter ihre Freundin an. »Livia?«
Livia atmet hörbar aus und verschränkt die Arme vor der Brust. »Geht schon vor. Ich kläre das eben mit ihm. Ich brauche höchstens eine Minute.«
Ihr Optimismus amüsiert mich und als Livia mein dämliches Grinsen sieht, verfinstert sich ihre Miene noch mehr und es fehlt eigentlich nur noch, dass sie mich zähnebleckend anknurrt.
Nachdem ihre Freundinnen im Gebäude verschwunden sind, wendet sich Livia mir zu und streckt auffordernd die Hand aus. »Mein Telefon.«
Schnalzend lehne ich mich ans Auto. »Miss Livia, wo sind denn Ihre Manieren?«
»Mason, verdammt, hör auf mit den Spielchen. Gib mir mein Telefon. Ich möchte ins Bett. Bitte.«
Ich sehe und höre, dass sie mit mir spricht, doch ich verstehe kein einziges Wort, weil ich mich nur auf die Bewegung ihres Mundes und ihren süßen Dialekt konzentrieren kann. Sie ist definitiv genervt und sauer, aber trotzdem erinnert sie mich an ein kleines, niedliches Löwenbaby, das zum ersten Mal faucht und die Krallen wetzt.
»Hör auf, mich so dämlich anzugrinsen. Wo ist es?«, fragt sie und fasst plötzlich an meine Hosentasche.
Aus Reflex zucke ich zurück und reiße die Augen auf. »Was tust du da?«
Livia lässt sich nicht beirren und hält mich am Hemd fest, während sie mit der anderen Hand meine Hosentaschen abtastet.
Die unerwartete Nähe zu ihr setzt meine Nervenenden in Brand und ich weiß im ersten Moment nicht, was ich tun soll.
»Hab es!« Sie zieht es hinten aus meiner Jeans und sieht triumphierend zu mir auf.
Wir sind uns nah, sehr nah. Ihr süßen Atem streift die Haut an meinem Hals und ihr Körper ist dicht an meinen gepresst. Aus dieser Nähe sehe ich zum ersten Mal den goldenen Ring, der ihre Iris umrandet. »Du hast wunderschöne Augen«, flüstere ich heiser. »Einzigartig.« Fasziniert tauche ich immer tiefer in ihren Blick, zähle die einzelnen Goldsplitter in ihren Iriden, vier links und drei rechts. Meine Hand hebt sich von allein und ich streichle zärtlich über ihre Wange. Livia erstarrt und hört auf zu atmen. Mein Blick fällt zu ihrem Mund und ich stelle mir vor, wie es wäre, sie jetzt einfach zu küssen, von ihr zu kosten, herauszufinden, ob sie genauso süß schmeckt, wie sie aussieht. Langsam, wie in Zeitlupe und ohne sie aus den Augen zu lassen, beuge ich mich vor.
Livia erstarrt und sieht mich mit großen Augen unsicher an. Ihr Mund öffnet sich und sie holt zitternd Luft.
Fuck, was tue ich hier? Ich richte mich wieder auf und trete einen Schritt zurück. Dann fahre ich mir durch die Haare und atme kopfschüttelnd aus. »Sorry, das war … ich wollte nicht … es tut mir leid«, stammle ich und bringe noch mehr Abstand zwischen uns.
Irritiert beobachtet sie mich, sagt aber kein Wort.
»Ich warte, bis du im Gebäude bist«, sage ich und deute zum Wohnheim. Ich hätte sie beinahe geküsst! Was ist plötzlich mit mir los? Mein Blick wandert zu Madden, der immer noch tief und fest pennt. Gott sei Dank hat er von der Nummer gerade nichts mitbekommen. Denn dann hätte er sofort daraus geschlossen, dass Livia unser nächstes Vergnügen sein wird. Aber sie ist viel zu gut für Typen wie uns. Sie würde uns niemals daten. Livia ist ein anständiges Mädchen, das garantiert die traditionelle der unkonventionellen Weise vorzieht.
Ich könnte mir einbilden, dass der Blick aus ihren warmen Augen Enttäuschung ausdrückt, doch das ist reines Wunschdenken. Sie nickt schließlich einfach nur und setzt sich dann in Bewegung. Kurz bevor sie die Treppe erreicht, dreht sie sich noch einmal zu mir um. »Bonne nuit, Mason.«
Mir wird warm, als sie mich anlächelt, und ich hebe die Hand zum Abschied. Livia erwidert das Lächeln, ehe sie durch die Tür geht und aus meinem Blickfeld verschwindet.
»Süße Träume, Livia.«
1- Ich würde dich nicht einmal wollen, wenn du Sand in Brot und Wasser in Wein verwandeln könntest. 2- Ich würde mich niemals mit Jesus vergleichen, aber vertrau mir, wenn wir mit dir fertig sind, wirst du zu Gott schreien.
2Ich würde mich niemals mit Jesus vergleichen, aber vertrau mir, wenn wir mit dir fertig sind, wirst du zu Gott schreien.